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HISTORY: Pharmabranche im Gespräch mit LifeGen.de
Der Wirtschaftsverband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland vertritt unter dem Kürzel vfa die Interessen von 45 weltweit führenden Arzneimittelherstellern. Mehr als zwei Drittel des gesamten deutschen Medikamentmarktes werden von Mitgliedern des vfa dominiert, 90.000 Mitarbeiter stehen dabei in Lohn und Brot. 17.000 ihrer Angestellten sind allein hierzulande für die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln tätig. Gleichzeitig gilt der Verband als mächtigstes Instrument der Pharmaindustrie in Deutschland, der Einfluss des vfa reicht bis in den Bundestag. Die Finanzkrise 2009 überstand der Verband ebenso weitgehend unbeschadet wie die Währungs-Turbulenzen rund um den Euro oder die seit 2008 bestehende globale Wirtschaftskrise. Aus heutiger Sicht und angesichts dessen, was die Corona-Pandemie an ökonomischen Folgen nach sich ziehen wird, sind die damaligen Aussagen des Verbandes zwar historisch - aber mitunter trotzdem lesenswert.
Über die damalige Lage der Branche und deren Probleme mit dem damals amtierenden Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sprach ich im Jahr 2011 mit Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung, Innovation des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen, vfa. Das Gespräch führte ich für das Biotech-Magazin LifeGen.de.
Lesen Sie nachfolgend das damals veröffentlichte Interview im Originalwortlaut. Alle Aussagen und Namen dienen lediglich der historischen Dokumentation. Sie müssen nicht mit den heutigen Positionen oder Meinungen der betroffenen Personen oder Institutionen übereinstimmen.
LifeGen.de: Eine aktuelle Studie der IMS Health sieht den US-Pharmamarkt nach wie vor im Aufwind, Zuwachsraten von 5 Prozent sind normal. Der VFA hat neulich ähnlich gute Perspektiven für die medizinische Biotech in Deutschland vorgestellt – warum lässt Sie die globale Krise in ihren Auswirkungen eigentlich unberührt?
Throm: Weil die medizinische Biotechnologie vor allem Medikamente gegen schwere Erkrankungen herausgebracht hat, die unverzichtbar sind: Patienten und ihre Ärzte werden an diesen festhalten, auch wenn zur gleichen Zeit an Konsumgütern wie Essengehen, Auto oder Reisen gespart wird. Das gilt aber nur für Firmen, die bereits Produkte im Markt haben. Solche, die auf weitere Kapitalzufuhr angewiesen sind, haben die Krise durchaus zu spüren bekommen.
LifeGen.de: Trotzdem hat man den Eindruck, den Mitgliedern des VFA ginge es schlecht. Ihre Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer beklagte unlängst bei SPIEGEL ONLINE das Abkassieren der Pharmabranche durch die Politik. Wie dürfen sich unsere Leser - überwiegend Fachleute aus dem Life Science Bereich und Medienredaktionen - das eigentlich konkret vorstellen?
Throm: Wenn die Politik rigide Rabatte verfügt, ist weniger zum Ausgeben da. Weniger für Marketing & Vertrieb, Produktion und Forschung & Entwicklung. Da in den letzten Jahren verstärkt in Marketing & Vertrieb eingespart wurde, wird man nun verstärkt auch in den anderen Unternehmensteilen einsparen müssen.
LifeGen.de: Über die Kosten der Medikamententwicklung ließe sich streiten. Allein dem IMI`s Funding-Programm steht ein Budget von 1 Milliarde Euro aus dem 7. Rahmenprogramm der Europäischen Union (FP7/2007-2013) zur Verfügung, der Betrag wird mit mindestens einer weiteren Milliarde Euro von den Mitgliedsfirmen der EFPIA ergänzt. Reichen eine Milliarde aus Steuergeldern der EU nicht als Finanzhilfe für gute Forschung aus?
Throm: IMI, die Innovative Medicines Initiative, läuft insgesamt über zehn Jahre und fördert nur Forschungsprojekte in frühen Stadien, keine konkreten Produkte. Damit kann wichtige Arbeit geleistet werden, doch das Erfinden und Entwickeln konkreter Wirkstoffe und Medikamente muss aus anderen Mitteln finanziert werden.
LifeGen.de: Patente sichern Ihren Mitgliedsunternehmen Wachstum und das wirtschaftliche Überleben, dagegen dürfte auch Gesundheitsminister Rösler nichts haben. Warum einigen Sie sich nicht auf ein Moratorium in Punkto Preisanstieg?
Throm: Wir hätten uns ein anderes Vorgehen durchaus vorstellen können. Dafür hat die Politik aber leider keinen Raum gelassen. Wir wurden zwar angehört, dann aber mit fertig ausgearbeiteten Eckpunkten zur Arzneimittelversorgung konfrontiert. Die waren offensichtlich darauf angelegt, uns vor den Kopf zu stoßen. So reagieren Unternehmen besonders sensibel, wenn ihre Planungssicherheit berührt wird. Mit den Zwangsrabatten und einem rückwirkend geltenden Preismoratorium will man aber in das laufende Geschäftsjahr der Unternehmen eingreifen. So kommt die Erhöhung des Zwangsrabatts für uns einer Strafsteuer auf Forschung und Innovation gleich!
LifeGen.de: Arzneimittel sind teuer, aber durchaus innovativ. Mit diesen Tools erwirtschaftet die Branche satte Milliardengewinne, in Deutschland auch deswegen, weil die GKV bei patentgeschützten Präparaten jeden Preis bezahlen muss. Gibt es für die Gesellschaft in Deutschland aber einen Grund, für die gleiche Medizin hierzulande mehr zu bezahlen als in Spanien, Indien oder der Türkei, wenn Ihre Patente doch ohnehin global gelten?
Throm: Die von Ihnen genannten Länder beschreiben das Problem: Sowohl die Lebensverhältnisse als auch die Gesundheitssysteme dieser Länder sind nicht vergleichbar. Das steht „weltweiten Einheitspreisen“ entgegen. Selbst innerhalb Europas haben wir bedeutende Unterschiede. Stichwort Mehrwertsteuer: Der Staat kassiert in Deutschland die volle Mehrwertsteuer auf Medikamente. In den anderen EU-Staaten – außer in Dänemark – unterliegen Arzneimittel nur dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz oder sind ganz von ihr befreit!
LifeGen.de: Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" wirft Ihren Mitgliedern immer wieder vor, bei HIV-Medikamenten in Ländern der Dritten Welt nach wie vor horrende Preise zu verlangen oder die Patente nicht für die Herstellung von Generika freizugeben. Was ist die Position des VFA zu diesem brisanten Thema?
Throm: „Ärzte ohne Grenzen“ tut viel dafür, armen Menschen in vielen Ländern zu einer Behandlung zu verhelfen. Unsere Unternehmen bieten alle ihre HIV-Präparate für solche Länder zu stark erniedrigten Preisen an. Nehmen Sie den Hersteller-Abgabepreis für eine Tagesration Viramune: hierzulande rund 15 US-Dollar, in der Ukraine rund 1,20 US-Dollar, in Malawi rund 0,60 US-Dollar. Mehrere Hersteller haben zudem Generika-Herstellern Lizenzen für ihre HIV-Medikamente erteilt. Natürlich ist „Ärzte ohne Grenzen“ trotzdem an weiteren Preissenkungen interessiert und macht dementsprechend Druck. Allzu groß können die Preisunterschiede aber nicht sein: Denn bei den in Entwicklungsländern üblichen Ausschreibungsverfahren zur Beschaffung von HIV-Präparaten bekommen längst nicht immer Generikahersteller den Zuschlag, sondern auch konkurrierende Originalhersteller. Unsere Mitgliedsunternehmen arbeiten an weiteren Kosteneinsparungen – etwa bei der Produktion –, um die Preise weiter reduzieren zu können.
Bemerkenswert finde ich, dass auch HIV-Medikamente ohne jeden Patentschutz in Indien nur einen Bruchteil der indischen Patienten erreichen. Das zeigt mir, dass die eigentlichen Probleme nicht bei Patenten zu suchen sind, sondern an anderen Stellen.
LifeGen.de: Ein Blick nach Indien und Asien zeigt, dass dort mittlerweile eine starke pharmazeutische Forschung im Kommen ist, wobei die Kosten für F&E geringer sind als hierzulande. Bayer CropScience hat beispielsweise im Bereich der Grünen Biotech in Singapur ein Reis-Forschungslabor eröffnet. Wäre F&E Outsourcing eine Option auch für den VFA?
Throm: Einige Mitgliedsfirmen haben mittlerweile Pharmalabors in China oder Singapur eröffnet, beispielsweise Roche, Novartis, GlaxoSmithKline und die Merck KGaA. Sie setzen auf die vielen gut ausgebildeten einheimischen Wissenschaftler und fokussieren sich oft auf in Südostasien verbreitete Krankheiten wie Hepatitis B oder Dengue-Fieber. Bei der klinischen Erprobung neuer Medikamente sind ohnehin eigene Studien in Südostasien ratsam, da in der dortigen Bevölkerung bestimmte stoffwechselrelevante Genvarianten häufiger oder seltener auftreten als bei den „Kaukasiern“, zu denen die meisten Menschen in Deutschland zählen.
In Indien erkennen wir vergleichsweise wenig Forschungsengagement, obwohl es dort mehr als 20.000 Pharmafirmen gibt und dieses Land die Auftragsforschung als ein Geschäftsmodell zu entwickeln sucht. Naja, ein paar forschende Firmen finden sich dort doch: etwa das britische Unternehmen AstraZeneca, das dort an Tuberkulose-Medikamenten arbeitet, und Ranbaxy, das zu einem japanischen Konzern gehört, aber auch indische Firmen wie Nicolas Piramal und Glenmark. Die Forschung der indischen Firmen zielt aber meistens darauf ab, neue Produkte für Länder außerhalb Indiens zu entwickeln. Klingt sonderbar, könnte aber etwas mit dem Heimatmarkt Indien zu tun haben: Bisher muss dort offenbar jede Firma angesichts des noch jungen und recht zahnlosen Patentrechts fürchten, dass ihr neues Präparat sofort Konkurrenz durch ein Generikum von der „Firma um die nächste Ecke“ bekommt, die sich damit die Forschungs-und Entwicklungskosten weitgehend spart. Das motiviert nicht dazu, in Forschung zu investieren! Dabei wären indische Patienten sicher auch an den im eigenen Land entwickelten Präparaten interessiert.
LifeGen.de: Kommen wir zur Forschungspipeline Ihrer Mitglieder. Die Mitglieder des VFA haben vor drei Jahren, also 2007, insgesamt 4,52 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Welche neuen Produkte sind seitdem auf den Markt gelangt?
Throm: 4,52 Milliarden allein in Deutschland, jeweils noch mehr in den darauf folgenden Jahren. Davon wurden Projekte in unterschiedlichsten Stadien finanziert, manche noch im Labor, manche in der klinischen Erprobung. Labors betreiben hierzulande 25 Mitgliedsfirmen, und fast alle führen hier Studien durch. Das Geld von damals hat jedenfalls dazu beigetragen, dass seit Anfang 2007 insgesamt 108 Medikamente mit neuen Wirkstoffen herauskamen, dazu rund 80 mit neuer Darreichungsform. Es hat auch zu zahlreichen Erweiterungen der Anwendungsgebiete beigetragen.
LifeGen.de: Geld verdienen können Sie aber nur mit Innovationen auf dem Gebiet der Volkskrankheiten, Alzheimer gilt angesichts der demographischen Entwicklung als besondere Herausforderung. Bislang tut sich auf diesem Gebiet die Forschung doch eher schwer....
Throm: ... was nicht an einem Mangel an Projekten liegt, sondern daran, wie kompliziert diese Krankheit ist. Alzheimer ist für fast die Hälfte unserer Mitgliedsfirmen ein großes Forschungsthema, auch und gerade in deutschen Labors. Viele Medikamentenkandidaten wurden schon in Studien erprobt, nur haben sich die meisten bisher nicht bewähren können. Aktuell haben immerhin vier Projekte die letzte Studienphase erreicht; und damit steigt die Hoffnung, dass doch zumindest einige zu besseren Behandlungsmöglichkeiten beitragen werden.
Geld verdienen kann man auch mit Medikamenten gegen speziellere Krankheiten, etwa Morbus Crohn, MS oder Unfruchtbarkeit. Zwar leiden daran weniger Patienten, dafür gibt es für die Firmen meist auch weniger Wettbewerber. Einige Firmen haben das als ihre Nische begriffen, darunter auch Biotech Start-ups.
LifeGen.de: Parkinson und MS wären weitere Kandidaten mit Therapie-Verbesserungsbedarf. Welche Neuerungen sind auf diesem Gebiet zu erwarten?
Throm: Bei MS tut sich sehr viel. Wahrscheinlich kommt noch dieses Jahr das erste von mehreren Präparaten heraus, das die ungeliebten Spritzen durch regelmäßige oder sogar nur in Intervallen einzunehmende Tabletten ersetzen kann – bei höherer Zuverlässigkeit der Verhinderung von Krankheitsschüben. Sie bewirken allerdings wohl auch eine stärkere Immunsuppression; deshalb müssen auch die Nebenwirkungen genau beobachtet werden. Gute Studiendaten bei MS-Patienten hat auch ein monoklonaler Antikörper geliefert, der bislang nur gegen einige Leukämien zugelassen ist.
Zur Behandlung von Morbus Parkinson sind weitere Präparate in Entwicklung, die teilweise an neuen Stellen im Krankheitsgeschehen ansetzen, etwa beim Neurotransmitter Glutamat. Einen wichtigen Fortschritt verdanken wir aber derzeit der Medizintechnik: die Hirnschrittmacher. Eins der Probleme bei Parkinson ist, dass die Krankheitsprozesse lange vor den ersten Symptomen beginnen. Die beste Therapie müsste dann schon eingreifen und nicht erst, wenn schon viel Nervengewebe verloren ist. Aber dazu müsste man Parkinson noch besser verstehen. Hoffentlich tragen die durch IMI geförderten Projekte dazu bei.
LifeGen.de: Einen Vorwurf muss sich Ihre Branche dennoch machen lassen. Im Bereich Kindermedikamente und Orphan Drugs investieren Sie erst, seitdem die USA und die EU massive gesetzliche Vorschriften erließen, die sie dazu zwingen. Patentverlängerung als Belohnung für teure Indikationsstudien und Zulassungsverfahren - was halten Sie von dem Verfahren?
Throm: Zwang gibt es bei Kindermedikamenten, nicht aber bei Orphan Drugs. Sechsmonatige Patentverlängerung als Kompensation wird bereits praktiziert: Unternehmen erhalten sie für ein patentgeschütztes Medikament, wenn sie für dieses ein Studienprogramm für Minderjährige durchgeführt haben. Ob das den Mehraufwand durch die Kinderstudien voll kompensiert, wird man sehen – vermutlich oftmals nicht. Bei Orphan Drugs gibt es keine Patentverlängerung, aber zehn Jahre Marktexklusivität speziell für die Anwendung bei der seltenen Krankheit.
LifeGen.de: Im Januar kündigten Sie für das Jahr 2010 rund 30 Medikamente an, die auf neuen Wirkstoffen basieren werden. Unsere letzten Fragen: Mit welchen Blockbustern werden Sie uns als Neuzulassungen im Jahr 2010 überraschen? Welche Details können Sie uns dazu jetzt, also kurz vor Mitte des Jahres, verraten?
Throm: Bis 10. Mai wurden dieses Jahr schon 13 Medikamente mit neuem Wirkstoff auf den Markt gebracht. Einzuschätzen, welche davon oder von den noch kommenden Präparaten einmal Blockbuster werden ... das überlassen wir gerne den Analysten!
Wir schätzen, dass rund ein Viertel der neuen Medikamente von 2010 Orphan Drugs sein werden. Mehrere Präparate gegen Krebs, eins gegen COPD – die chronisch-obstruktive Lungenkrankheit – und eins gegen Osteoporose sind zu erwarten. Ein neues Antibiotikum könnte kommen, das auch gegen den Keim MRSA wirksam ist. Für Länder außerhalb Europas könnte ein neues Malaria-Kombinationspräparat eine europäische Zulassungsempfehlung erhalten. Neue Medikamente auf Basis bewährter Wirkstoffe dürften gegen die Frauenkrankheit Endometriose und gegen MS herauskommen. Also: Neues ist für unterschiedlichste medizinische Gebiete zu erwarten!
LifeGen.de: Vielen Dank für das Gespräch
Interview: Vlad Georgescu