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Nanopartikel: Gefahren aus der Zwergenwelt

Das Papier umfasst nur 13 Seiten, doch der Inhalt ist beachtlich. Ausgerechnet jene seinerzeit von Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) zur Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts erhobene Nanotechnologie, bei der winzigste Partikel mit Durchmessern von wenigen Millionsten Millimetern neuartige Materialeigenschaften hervorbringen, birgt vermutlich ernstzunehmende Gefahren für die Gesundheit des Menschen.


Forscher am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin haben im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) führende Nanotech-Experten über den Stand der Forschung in Sachen Toxizität befragt, „um mögliche Risiken abzuschätzen“, wie Rüdiger Haum, einer der Projekttutoren, gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte. Nach dem Hype rund um die Chancen der Nanotechnologie – etwa die Herstellung kratzfester Lacke, UV-blockende Titandioxid-Sunblocker oder Nanopartikeln als Transportmittel für Arzneiwirkstoffe – kommt allmählich die Frage auf: Wie viele Gefahren stehen den Errungenschaften der Nanotech gegenüber?


Möglicherweise mehr, als Laien bisher befürchteten - und der Industrie lieb sein dürfte, wie das IÖW-Papier mit dem Titel „Potenziale und Risiken nanotechnologischer Anwendungen“ aufzeigt.


Grund für das Gefahrenpotenzial ist eine herausragende physikalische Eigenschaft der atomaren Zwergenwelt. Nanopartikel besitzen eine im Vergleich zu ihrem Volumen geradezu gigantische Oberfläche. Diese bestimmt gleichzeitig die chemische Reaktionsfreudigkeit der Winzlinge: Sie „reagieren schnell und heftig, teilweise spontan mit ihrer Umgebung.“ Gelangen die reaktiven Nanopartikel in den Organismus von Mensch und Tier, richten sie, je nach Art des Eindringens, erheblichen Schaden an.


Besonderes Kopfzerbrechen bereitet Toxikologen der nahezu ungehinderte Weg der Nanopartikel durch den Organismus bis zur Lunge des Menschen. Dort angekommen hebeln sie den normalen Schutzmechanismus aus. Vor allem solche Menschen, die chronisch krank sind, unter Altersgebrechen leiden oder, wie Kinder, über kein ausgeprägtes Immunsystem verfügen, sind besonders stark gefährdet, gibt das IÖW-Papier, das der SZ vorliegt, zu bedenken.


Im Idealfall verfügt das Atemsystem des Menschen nämlich über ein ausgeklügeltes Abwehrsystem. Dringen Krankheitserreger oder Fremdstoffe in den Organismus ein, aktiviert der Körper bestimmte Immunzellen in den Lungenbläschen, sogenannte Alveolar-Makrophagen. Diese setzen dann nicht nur reaktive Sauerstoffatome frei. Sie schicken auch eine ganze Armada an Proteinen und Lipiden ins Gefecht. Diese Botenstoffe stimmen dann weitere Zelltypen auf den Abwehrkampf ein. Aus Tierversuchen mit ultrafeinen Partikeln, wie sie beispielsweise auch bei der Verbrennung von Hausmüll entstehen und ähnliche Dimensionen wie industriell hergestellte Nanoteilchen aufweisen, wissen die Forscher schon seit 2002, was Nanopartikel anrichten können, wenn sie inhaliert werden. Damals hatten die Wissenschaftler Ratten der mit bloßem Augen nicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt und festgestellt: Die Immunreaktion schießt so heftig über, dass sie schließlich gänzlich zum Erliegen kommt; die Folge sind Nekrosen des Lungenepithels. Die erschreckenden Ergebnisse veröffentlichten die Forscher vom Institut für Toxikologie und Genetik des Forschungszentrums Karlsruhe im Fachblatt „Technologiefolgenabschätzung – Theorie und Praxis“. „Die Exposition gegenüber höheren Konzentrationen kann zu einer Verkürzung der Lebenserwartung von bis zu zwei Jahren führen,“ schreiben die Wissenschaftler, und: „Partikel werden mit abnehmender Größe immer toxischer.“


Nanotubes – geliebte Gefahrenquelle?


Ausgerechnet die Stars am Himmel der neuen Technologie, sogenannte Nanotubes, bei denen zu Röhren geordnete Kohlenstoffatome vollkommen neue magnetische, elektrische oder mechanische Eigenschaften ermöglichen, erweisen sich aus toxikologischer Sicht als überaus problematisch. Wie und ob die Nanotubes beim Menschen wirken, ist bis dato völlig unbekannt, wirklich verlässliche Forschungsdaten dazu existieren nicht – und das, obwohl die Verdachtsmomente alarmierend sind. So starben 15 Prozent der Ratten, wenn sie fünf Milligramm Nanotubes je Kilogramm Körpergewicht eingeatmet hatten. Den Tod verursachten die Kohlenstoff-Konstruktionen dadurch, dass sie sich verklumpten – die Tiere erstickten, weil die Atemwege verstopft waren. Im Tierexperiment führten auch sogenannte Fullerene, aus jeweils 60 Kohlenstoff bestehende mulekulare „Fußbälle“, zu Hirnschädigungen bei Fischen.


Das Atemsystem ist indes nicht die einzige Eintrittspforte für Nanopartikel. Auch über die Haut können die Teilchen in den Organismus gelangen, wo sie dann auf Grund ihrer geringen Größe auf keinerlei ernstzunehmenden Widerstand mehr stoßen.


Forscher der University of Liverpool vermuten, dass Nanopartikel im Organismus durch die Öffnungen der Zellmembran, die sogenannten Caveolen, in die Zellen gelangen und dort ihr unheilsames Werk vollbringen könnten. In einem anderen Experiment brachten Wissenschaftler der US-amerikanischen University of Rochester auf die Nasenschleimhaut von Ratten Kohlenstoffteilchen mit einem Durchmesser von 35 Nanometern auf. Am darauf folgenden Tag fanden sie die Partikel in den Gehirnen der Versuchstiere wieder. Offenbar hatten die Enden der Geruchsnerven die Partikel aufgenommen und in den Riechkolben transportiert. Was die Kohlenstoffzwerge im Gehirn der Tiere anrichten können, ist völlig unerforscht. Auch stehen Nanotubes im Verdacht, Krebs zu erregen. Davon jedenfalls gehen Forscher des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg bei München aus. Ein Versuch – wiederum mit Ratten - bestätigt diese Annahme. Das in vielen Sunblockern verwendete nanoskalige Titandioxid löste bei den Nagern nach einer zweijährigen Zwangsverabreichung Lungenkrebs aus. Zwar sei dieses Ergebnis nicht unmittelbar auf den Menschen übertragbar, resümieren die Wissenschaftler. Dennoch könne niemand davon ausgehen, dass keine Gefahr drohe – weitere Tests seien daher dringend erforderlich.


Bedenken gegen die revolutionäre Technologie reichen Jahre zurück und sind auch auf politischer Ebene kein Novum. Denn schon im November 2003 hatten Forscher des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) den Berliner Parlamentariern den 450-Seiten starken Bericht „Nanotechnologie“ vorgelegt und eindringlich vor gesundheitlichen Risiken gewarnt. „Künstliche Nanostrukturen können durch Emissionen der Nanoindustrie oder durch Entstehung von Nanopartikeln beim alltäglichen Gebrauch in die Umwelt gelangen,“ konstatierten sie, potenzielle Langzeitfolgen seien nicht auszuschließen.


„Grund zur Besorgnis“


Trotz solcher Warnungen sind Studien zu toxikologischen und gesundheitsrelevanten Auswirkungen hierzulande rar. Während Wissenschaftler auf die Notwendigkeit einer soliden Sicherheitsforschung hinweisen, fließen staatliche Gelder – trotz entsprechender Hinweise - vorwiegend allein in eine Richtung: hin zu Projekten mit handfesten medizinischen oder wirtschaftlich Vermarktungsaussichten. Von insgesamt 57 im offiziellen Förderkatalog des BMBF aufgeführten Projekten zur Nanotechnologie beispielsweise findet sich kein einziges, dass explizit die Unwägbarkeiten der Nanopartikel auslotet. „Es gibt momentan keinen Grund zur Panik oder für ein Moratorium“, erklärt dazu Haum vom IÖW, der seine Ergebnisse dem BMBF vorstellte, „zur Besorgnis aber schon.“


Der Artikel erschien im Original bereits im Jahr 2006.

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