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Toter Himmel über Deutschland
(Kommentar) Das große Sterben trifft auch ehemalige Allerweltsvögel wie Bussarde. Wo sie noch vor Jahren zahlreich über den Feldern kreisten und nach Mäusen und Aas Ausschau hielten, zerschneiden jetzt nur die Kondensstreifen der Flugzeuge das Firmament. Immer weniger der ortstreuen Greifer hocken an den Straßenrändern und warten geduldig darauf, dass ein Tier unter den Rädern der Autos den Tod findet. Ermattet von der erfolglosen Suche, trägt die nächste Böe sie eben nicht höher hinauf, um das Glück an einer anderen Stelle suchen zu können, sondern weht sie an die nächste Windschutzscheibe. Wer offenen Auges durch die Lande fährt, stößt allerorten auf die Opfer.
Die Natur siebt eben aus, meinen Sie vielleicht: Es ist nichts Neues, dass im Winter die Schwachen auf der Strecke bleiben. Das mag so sein - allerdings nur dort, wo wenigstens noch Teilkreisläufe funktionieren. Diese Zeiten aber sind längst vorbei. Nehmen wir das Beispiel Thüringen. Von hier, genauer an der B4 zwischen Greußen und Straußfurt, stammt auch dieses Video. Zu DDR-Zeit haben Bäume und Sträucher rechts und links der Straßen niemanden gestört. Im Gegenteil. Allerorten kümmerte sich das "VEB Straßenobst" um die zahlreichen Apfel- und Birnbäume, die vor allem die Landstraßen säumten; die Sträucher wurden größtenteils sich selbst überlassen. Bei den Bussarden indes standen die alten Obstbäume hoch im Kurs - boten diese doch den idealen Ansitz, um nach Nahrung Ausschau zu halten. Perfekt auch, weil in den verfilzten Strauchreihen dazwischen allerlei Kleingetier - potentielle Beute also - Unterschlupf und Nahrung fand. Jetzt wird geholzt, was das Zeug hält. Geradezu phobisch rücken Städte, Gemeinden und die vom Bund-Beauftragten dem "Gefahrgrün" zu Leibe, überall türmen sich Häckselhaufen an den Straßen, ragen Stümpfe empor.
Damit aber nicht genug. Ein besonders schwergewichtiger Feind der Natur ist die industrielle Landwirtschaft. Landauf, landab hat sie Feldgehölze, Baumreihen und Hecken gerodet, und noch immer - obwohl es ein Beseitigungsverbot gibt!- fressen Motorsägen und Schlegelmulcher den letzten Rest. Die Naturschutzbehörden drücken oft ein Auge zu. Aus welchen Gründen, mag sich jeder selbst erklären: Man ist zusammen aufgewachsen, man kennt sich, man scheut die Konfrontation oder den Arbeitsaufwand.
Auch mit Sitzstangen, die mal hier, mal da aufgestellt werden, ist dem Bussard kaum geholfen. Denn diese Notbehelfe sind im wahrsten Sinne des Wortes "Krücken": Höchstens zwei Meter hoch, bieten sie beileibe nicht den Beobachtungsradius, den z.B. ein 15 Meter hoher Baum schenkt.
Gleichzeitig rücken Einzelbauern und Agrargenossenschaften den Mäusen mit Gift auf den Pelz. Der Einsatz von sogenannten Rodentiziden gegen Nager unterliegt zwar strengen Anwendungskriterien. So hat beispielsweise auch das Umweltbundesamt (UBA) Bestimmungen in Form der "Guten fachlichen Anwendung (GfA) von Fraßködern bei der Nagetierbekämpfung mit Antikoagulanzien" erarbeitet, die jeder einsehen kann. In der Praxis allerdings werden diese selten beachtet. Oder kennt jemand einen Landwirt, der die vorgeschriebenen Probefänge durchführt oder ein anderes geeignetes Prognoseverfahren belegt, um den Einsatz der Gifte zu rechtfertigen? Wo Mäuse gesehen werden, wird umgehend die "Plage" proklamiert - mit den entsprechenden Konsequenzen. Denn Rodentizide, deren Wirkstoffe zum inneren Verbluten führen, schädigen auch "Nicht-Zielorganismen" wie Mäusebussard und Eule, Fuchs und Wiesel.
So beißt sich also die Katze wieder einmal in den Schwanz. Kein Verantwortlicher aus Hof, Verband oder Behörde hilft den tierischen Jägern. Statt dessen werden die desolaten äußeren Verhältnisse aufrecht erhalten: der Vernichtungsfeldzug gegen Strukturelemente gerade in ländlichen Gegenden hält unvermindert an.
Dabei weiß die Wissenschaft bereits seit den frühen 1960er Jahren* und jedes Schulkind spätestens ab der fünften Klasse, dass der Bussard eine ausgeprägte Populationsdynamik aufweist - sofern der Mensch den Prozess nicht stört: Die Zahl seiner überlebenden Nachkommen steigt nämlich mit der Zahl der auftretenden Mäuse; übertrifft die Zahl der Bussarde mit der Zeit das Nahrungsangebot, gibt es auch wieder weniger Bussarde. Wie weise ist doch die Natur. Im Gegensatz zum Menschen.
*Mebs, T. Zur Biologie und Populationsdynamik des Mäusebussards (Buteo buteo) (unter Berücksichtigung der Abhängigkeit vom Massenwechsel der Feldmaus (Microtus arvalis). J Ornithol105, 1964 https://link.springer.com/article/10.1007%2FBF01672243