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Transatlantisches Freihandelsabkommen: Konzerninteresse contra Verbraucherrechte
Öffentlichkeit unerwünscht: Schon das sollte skeptisch stimmen. Hinter verschlossenen Türen verhandeln allein Privilegierte über das Transatlantisches Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investement Partnership, TTIP) zwischen der EU und den USA. 60 Experten sollen zu den Gesprächsrunden in Brüssel geladen sein. Wer diese Leute sind, und nach welchen Kriterien sie ausgesucht wurden, erfährt offiziell niemand. „Wir wissen aus internen Dokumenten der Europäischen Kommission, dass sie sich in der wichtigen Phase der Verhandlungsvorbereitung fast ausschließlich mit Konzernen und ihren Lobbygruppen getroffen hat“, sagt Pia Eberhard von der Gruppe Corporate Europe Observatory, die sich die Überwachung von Lobbyisten zum Ziel gemacht hat. Geheimniskrämerei ist oberstes Gebot. Einem Beschluss der EU-Kommission zufolge sind alle Verhandlungsleitlinien „EU-restricted“, was bedeutet, dass nur oberste Bundes- und Landesbehörden darauf zugreifen dürfen.
Ausgeschlossen hat der Rat auch, dass die Öffentlichkeit informiert werden darf. Nur wenn er sich eines anderen besinnt und einstimmig für die Veröffentlichung votiert, können Bürger wie Parteimitglieder oder Wissenschaftler Kenntnis erhalten. Eine solche Entscheidung lässt allerdings bislang auf sich warten, und auch die Bundesregierung, die sich durchaus für Transparenz einsetzen könnte, scheint keinerlei Interesse daran zu haben, sich in die Karten schauen zu lassen. Öffentlich gibt sich die EU als Verteidigerin Europas, erkennt aber ihren Bürgern Mündigkeit ab. Ein solches Vorgehen belastet das Vertrauen der Bevölkerung sowohl in die Regierungen als auch in die EU, erweckt es doch den Eindruck einer Hinterzimmerpolitik, die sich den Argumenten von Lobbyisten öffnet, jenen der NGOs und Bürger aber verschließt. Stattdessen werden Bekenntnisse allgemeiner Natur und Durchhalteparolen verbreitet: Propaganda, die das Ganze nicht in besserem Licht erscheinen lässt.
So wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht müde, vor einem Scheitern des TTIP zu warnen. „Ein solches Freihandelsabkommen wäre ein Riesenschritt nach vorne, der auch Wachstum in allen Bereichen fördern und neue Arbeitsplätze schaffen würde“, wird sie auf den Seiten der Bundesregierung zitiert, „Deshalb haben wir uns vorgenommen, diese Verhandlungen schnell zu beginnen und auch sehr ambitioniert zu führen.“ Das TTIP soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Der Handel zwischen den Staaten soll erleichtert werden, indem Zölle und andere Hemmnisse abgebaut werden. Was kaum kommuniziert wird: Bereits heute sind die Zölle mit 2,8 Prozent für den Industriesektor und für andere Bereiche mit durchschnittlich rund vier Prozent ohnehin niedrig. Worum es in erster Linie geht, sollte nachdenklich stimmen, denn zur Disposition stehen vor allem die Standards im Verbraucher-, Umwelt- und Datenschutz, zur Produktsicherheit und zu Arbeitnehmerrechten.
Die Befürworter und Unterstützer des TTIP berufen sich auf Studien, wie sie die Bertelsmann Stiftung beim Münchner ifo-Institut in Auftrag gegeben hat. Professor Gabriel Felbermayr, Hauptautor der Studie, geht von einer Verdoppelung des Handelsvolumens zwischen den USA und Europa aus. Gleichzeitig ist von einem Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens die Rede: 4,95 Prozent in Europa und 13,4 Prozent in den USA sollen es sein. Die Studie “Abbau der Hindernisse für den transatlantischen Handel” des Londoner Centre for Economic Policy Research (CEPR) bläst ins gleiche Horn. Es prophezeit ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum von rund 0,5 Prozent (65 Milliarden Euro) pro Jahr, und ihre Schlussfolgerung dürfte den Regierungen der hochverschuldeten Euro-Zone besonders wohl in den Ohren klingen. Denn das Plus an Wachstum würde laut CEPR zustande kommen, ohne die öffentlichen Ausgaben und Kreditnahmen zu erhöhen: ein Konjunkturschub ganz ohne zusätzliche Steuergelder und Schulden also. Damit nicht genug. Käme das TTIP zustande, würden zwei Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, behauptet die Bertelsmann Stiftung; das verfügbare Einkommen einer vierköpfigen Familie würde sich um durchschnittlich 545 Euro jährlich erhöhen, ergänzt die Europäische Kommission.
Die Zahlen klingen derart gut, dass man geneigt ist, den Silberstreif am Horizont der überschuldeten Euro-Zone tatsächlich als gegeben hinzunehmen. Doch bei näherer Betrachtung macht sich Ernüchterung breit. Denn sowohl Institute als auch EU streichen nur die optimistischen Prognosen heraus – und das lässt Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen. Optimistisch bedeutet in diesem Zusammenhang ein Szenario des harmonischen Gleichklangs auf allen Ebenen: SÄMTLICHE Zölle zwischen EU und USA müssten fallen, es käme zu einer weitgehenden Angleichung von Produkt-, Arbeits-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards, und die Auswirkungen dieser Veränderungen müssten sehr groß sein. Schon ein mittleres Szenario relativiert den Wachstumseffekt. Er würde dann 0,1 Prozent betragen – nicht jährlich, sondern in einem Zeitraum von zehn Jahren. Ähnliches gilt für den von Bertelsmann verkündeten Arbeitsplatzsegen. In einem vorsichtigen Szenario geht die Studie von einem Rückgang der Arbeitslosenquote in Deutschland um 0,11 Prozent aus – wiederum nicht jährlich, sondern insgesamt. Eine recht bescheidene Aussicht. Selbst ein Plus von zwei Millionen Arbeitsplätzen erscheint angesichts der Bevölkerungszahl einer zukünftigen transatlantischen Freihandelszone von 312 Millionen US-Bürgern und 504 Millionen Europäern marginal. Auch deckt sich die Behauptung, ein erleichterter Handel wirke sich positiv auf die Zahl der Arbeitnehmer aus, nicht mit den Erfahrungen aus früheren Handelsabkommen. Mehr Handel bedeutet nicht automatisch mehr Stellen, sondern nur, dass es zu einer stärkeren Arbeitsteilung und damit zu einer höheren Effizienz kommt. In diesem Fall könne nur eine stärkere Nachfrage mehr Beschäftigung bewirken, meint Professor Christoph Scherrer, Leiter des Fachgebiets Globalisierung und Politik an der Universität Kassel.
Scherrer sorgt sich um die zukünftigen Arbeitsbedingungen in Deutschland, falls die Standards an jene in den USA angepasst würden. Beschäftigte in den USA haben weniger Rechte und verdienen weniger; ein Betriebsrätesystem wie in Deutschland lehnen die Amerikaner ab. Scherrer hält sogar Arbeitsplatzverluste für möglich, wenn deutsche Firmen das amerikanische Prinzip übernehmen oder in die USA abwandern und dort produzieren würden.
Bertelsmann muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, im Eigeninteresse zu argumentieren. Indem der Konzern die unrealistischen, aber vielversprechenden Zahlen aus den Untersuchungen filtert und präsentiert, verfolgt er klare Ziele: „Als eines der größten Medienimperien Europas liegt Bertelsmann vor allem der stärkere Schutz geistigen Eigentums am Herzen, der durch das Abkommen erreicht werden soll.“ Schönfärberei hinsichtlich Beschäftigungszuwachs und Wirtschaftswachstum kennen die Europäer indes schon aus politischen Sonntagsreden. Sie sollen vor allem eines bewirken: die Bürger gefügig machen. Doch das geplante Freihandelsabkommen birgt enorme Risiken – für jeden Einzelnen wie für die Demokratie.
Die Veränderungen betreffen rund 850 Millionen Menschen, und wer in erster Linie profitiert, ist unschwer zu erraten. Die britisch-amerikanische Firma FTI Consulting etwa (im Jahr 2013 bei der Begleitung von Fusionen und Übernahmen die Nummer 1 in Europa) beziffert das Gewinnplus für die Automobilindustrie in der Freihandelszone auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr, das der Chemieindustrie auf sieben Milliarden Euro. Schon an dritter Stelle folgt die Nahrungsmittelindustrie mit einem geschätzten Gewinnplus von fünf Milliarden Euro. Kleine und mittlere Unternehmen, die bereits heute der zunehmenden Konzentration und Marktmacht der multinationalen Giganten kaum etwas entgegen zu setzen haben, würden noch mehr durch Preisdrückerei und Knebelverträge in die Abhängigkeit getrieben werden können.